Folge 10: Eine neue Freundin – Die Zeit

9. April 2016, Rehab Basel

Gang
Zum Rauchen muss ich nur den Gang überqueren. Das tue ich zu jeder Tages- und Nachtzeit.

Eine echte Tagesstruktur habe ich noch nicht, aber ich arbeite dran. Vorerst dreht das Gehirn im dunkelroten Bereich. Da geht wesentlich mehr ab, als ein zerbeulter Kopf verarbeiten kann.

Ein Beispiel, wie sich wichtige Eckwerte im Leben ganz schnell grundsätzlich verändern können. Nehmen wir die Zeit. Oder besser: Die Zeitachse, auf der wir uns bewegen. Zweifellos ein Grundpfeiler unserer Existenz.

Bisher war die Zeit mein Lebensmotor. Als Reporter und Journalist prägte die Deadline – der Redaktionsschluss – während 30 Jahren meinen Lebensrythmus, meinen Alltag. Die Zeit drängt, sie hetzt, sie spornt an, sie entscheidet oft über Erfolg oder Misserfolg, sie ist eine gnadenlose Treiberin. Und ja, sie ist verantwortlich für jeden Stress und jede Extraanstrengung, die mir der Alltag abverlangte. Ich habe sie oft zum Teufel gewünscht, diese verfluchte Zeit. Immer wenn ich sie am meisten brauchte, war sie nicht da.

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Zauberstühle: Das sind übrigens die Sitzgelegenheiten, von denen ich in Folge 9 geschwärmt habe. Nur hier kann ich bequem verweilen.

Und jetzt? Plötzlich wird die gleiche Zeit zur engsten Verbündeten. Mehr noch: Zu einer intimen Freundin. Sie ist immer da, im Überfluss. Sie heilt. Was ich bis jetzt verstanden habe: Wenn du dich hier drin mit der Zeit anfreundest, wird es dir besser gehen. Der Grund: Die Zeit wird eins und vereinigt sich mit der Hoffnung. Zeit=Hoffnung=Zeit=Hoffnung.

Wir bemühen uns beide – die Zeit ähm die Hoffnung und ich. Und wir werden überraschend schnell zu besten Freunden.

Jetzt bin ich bereit für meinen neuen Alltag.

Nächste Folge:
14. April: Mit 50 lernen den eigenen Namen zu schreiben

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